Mädchen* (digital) beteiligen

Eine Machtfrage an das politische System

Gender-Pay-Gap, Gender-Data-Gap, Gender-Time-Gap – in vielen Bereichen existieren Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern, die tiefgreifende Auswirkungen auf das Leben vieler Menschen und ihre Teilhabemöglichkeiten haben. Gibt es also auch einen „Gender Digital Youth Participation Gap“? Denn warum sollten ausgerechnet Formate und Formen der Jugendbeteiligung von dieser Ungleichheitsdiagnose ausgeschlossen sein?[1]

„Partizipation“ als Schlagwort scheint zunächst zu verheißen, dass der „gap“ – also die Lücke zwischen Identitäten und Perspektiven – überwunden werden könne, wenn man die betroffenen Subjekte einfach an der Lösungsfindung beteiligt; insbesondere dann, wenn sie vermittels digitaler Medien erfolgt. Nun geschieht Beteiligung allerdings nicht im luftleeren Raum, sondern auf der Basis gesellschaftlicher Machtverhältnisse, die auch entlang der Frage nach der Identitätskategorie Geschlecht verhandelt werden.

Gender-Identitäten sind vielfältig und wirken „gemeinsam mit anderen Kategorien wie Herkunft, Klassenzugehörigkeit, sexuelle Orientierung und weiteren. Die vorherrschende Vorstellung von Geschlechtern ist zweigeschlechtlich: weiblich und männlich. Geschlecht als Bezugspunkt ist aber nicht abgeschlossen und unveränderbar.“[2] Wenngleich also Gender-Identitäten weit über ein binäres Schema hinausgehen, so ist die kommunalpolitische Realität durchaus noch eine zweigeschlechtliche, die häufig zugunsten eines Geschlechtes geordnet ist. So sind in Deutschland lediglich 9 Prozent der Bürgermeister*innen Frauen*, der Anteil weiblicher Mandatsträger*innen in Kommunalparlamenten liegt bei rund 28 Prozent.[3] Aber auch in der Digitalbranche sind Frauen* noch unterrepräsentiert: In Deutschland liegt der Frauen*-Anteil hier bei bloß 21 Prozent und im zukunftsweisenden Feld der KI-Forschung sind weltweit nur sechs Prozent aller Entwickler*innen weiblich*.

Dies hat nicht nur Auswirkungen darauf, wie Mädchen* und junge Frauen* Vorbilder finden, sondern auch auf die Gestaltung von digitalen Anwendungen und Programmen, da diesen durch mangelnde Diversität der Akteur*innen im Bereich IT ein sogenannter „unconscious bias“ eingeschrieben ist, also eine internalisierte Ungleichheit bzw. Prägung durch das Geschlecht der jeweiligen Person, die designt oder programmiert.[4]

Mediennutzung von Jugendlichen

Blicken wir nun auf die User*innen: Die Unterschiede in der Mediennutzung von Mädchen* und Jungen* sind derweil nicht mehr so groß wie lange Zeit angenommen: Es gibt immer mehr Gamerinnen*, beide Geschlechter nutzen Chat-Apps und bild-/videobasierte Plattformen wie Instagram, TikTok oder YouTube – wobei Jungen* etwas eher am Konsum von Bewegtbildangeboten interessiert sind als Mädchen*, diese dafür eine höhere Affinität zu interaktionsbasierten Angeboten aufweisen.

Fest steht: Alle jungen Menschen über zwölf Jahre nutzen das Internet, verfügen über ein Smartphone (ein eigenes oder eines im Haushalt, in dem sie leben), das sie täglich nutzen – ihre Lebenswelt ist auch digital und somit ebenfalls ihr Umgang mit ihrer Umwelt. Der weitaus größere Unterschied zwischen den Geschlechtern ergibt sich jedoch aus den Erfahrungen, die sie eben in jenen Kontakten und Netzwerken machen: Mädchen* und junge Frauen* sind häufiger Hass und digitaler Gewalt ausgesetzt als Jungen* und junge Männer*.[5]

Die Machtverhältnisse aus dem „echten Leben“ scheinen sich also im Netz abzubilden und führen dazu, dass sich junge Frauen* weniger äußern oder nach schlechten Erfahrungen aus dem digitalen Raum zurückziehen. Und auch, was die Repräsentation angeht, erleben Mädchen* häufig noch die Wiederholung und teilweise auch Verstärkung von Geschlechterstereotypen. Das hat ganz reale Auswirkungen: Mädchen* und junge Frauen* glauben, dass sie aufgrund ihres Geschlechtes weniger ernst genommen werden und eine nach- oder untergeordnete Rolle in einer männer*-dominierten Welt spielen.[6]

Wenn wir nun diese Erkenntnisse zum Verhältnis von Geschlecht und Repräsentation in der Kommunalpolitik als auch in digitalen Medien zusammenbringen, so legt dies nahe, dass die hier beschriebenen Lücken oder Ungleichheiten auch eine wesentliche Rolle für die (digitale) Jugendbeteiligung spielen.

Recht auf Teilhabe

Seit einigen Jahren, u. a. durch die Klima-Proteste von Fridays for Future beschleunigt, fordern junge Menschen immer häufiger Mitsprache und Mitbestimmung bei allen sie betreffenden politischen Angelegenheiten ein.[7] Ihr Recht auf Partizipation gründet sich nicht nur auf der UN-Kinderrechtskonvention oder dem SGB VIII, sondern auch auf den gesetzlichen Bestimmungen der Länder, die so den Rahmen dafür schaffen, dass auf kommunaler Ebene Formen und Formate für Jugendbeteiligung ausprobiert und verankert werden, z. B. Jugendforen, Jugendräte oder Jugendparlamente.[8]

Ihr Anspruch ist im besten Falle, alle jungen Menschen, unabhängig ihres Geschlechts oder ihrer Herkunft, einzubeziehen – und dies ggf. auch digital, unter der durchaus nicht falschen Annahme, dass Kinder und Jugendliche sich in digitalen Sphären aufhalten. Die kommunale Praxis zeigt jedoch: Die Vielfalt der Lebenswelten junger Menschen bedeutet, dass nicht nur eine Methode, ein Format – egal, ob analog oder digital – existiert, das immer „funktioniert“ und von allen Jugendlichen gleichermaßen als erfolgreich angesehen wird.[9] Vielmehr noch erleben gerade Mädchen* und junge Frauen* auf kommunaler Ebene, dass sie mit ihren Bedürfnissen und Perspektiven, z. B. in der Stadtplanung, nicht ausreichend berücksichtigt werden.[10] Die Themen, die sie in die „erwachsene“ Politik einbringen (z. B. durch Anhörungs-, Rede- oder Antragsrechte im Gemeinderat oder im Jugendhilfeausschuss), erfahren insbesondere dann Ablehnung, wenn sie als „Mädchen*-Themen“ identifiziert werden; beispielsweise, wenn es um kostenfreie Menstruationsartikel in öffentlichen Toiletten geht.[11]

Pinkwashing von Jugendbeteiligung?

Digitale Mädchen*beteiligung erscheint daher weniger als implizite Aufforderung, Formen und Formate von Jugendbeteiligung einem Prozess des Pinkwashing zu unterziehen, sondern vielmehr als Anlass, zu überprüfen, auf welche „gaps“, auf welche Ungleichheiten, die ihr eingeschriebenen Topoi „Alter“, „Demokratie“ und „Geschlecht“ treffen: (1) Sie sind jünger und häufig formal nicht wahlberechtigt, fordern allerdings Teilhabe ein; (2) ihre Lebenswelten und somit auch ihr Bezug zu Politik sind durch das Internet geprägt, weshalb sie Mitbestimmung und Mitsprache auch als digitale Praxis verstehen; (3) und sie sind nicht-männlich*, sehen sich jedoch mit einer von Männern* gemachten Politik konfrontiert, die durch Formalisierungen wie Satzungen, aber auch durch ungeschriebene Regeln des Netzwerkens etc. geprägt sind und die sie infrage stellen.

Das bedeutet, dass digitale Mädchen*beteiligung auf mindestens dreifache Art und Weise die Machtfrage an ein politisches System stellt, das darauf nicht angemessen reagieren kann, ohne etwas von dieser Macht bewusst abzugeben. Die Beteiligung junger Menschen in ihrer Vielfalt – ob digital oder analog – kann nur gelingen, wenn sie als jugendpolitische Querschnittsaufgabe verstanden wird, deren Ziel es ist, von ihren Lebenswelten ausgehend Diversität, Digitalität und Partizipation zusammen zu denken.

Folglich muss Jugendbeteiligung noch viel stärker als Prozess verstanden werden, der von den beteiligten Kindern und Jugendlichen von Beginn an mitgestaltet wird und der nicht vom Ziel her gedacht wird, sondern Lern- und Erfahrungsräume bietet; der die Selbstwirksamkeit junger Menschen dahingehend stärkt, dass sie ermutigt werden, zwar nicht alles können und wissen zu müssen, aber dennoch eine Stimme und ein Recht auf Beteiligung zu nutzen; der in ihren Lebenswelten verortet ist und diese – ob analog oder digital – zum Ausgangspunkt macht, statt gesellschaftliche Machtverhältnisse, in denen nicht-männliche* junge Menschen (insbesondere in intersektionaler Perspektive) aufgrund ihrer Identitätsmerkmale nicht mitbestimmen dürfen, zu reproduzieren.

An der Digitalisierung ist noch kein Jugendbeteiligungsprozess gescheitert. An der Machtfrage und der Frage nach den Rahmenbedingungen für Partizipation jedoch schon viel zu häufig.

 

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Schwerpunktthema Digital Divide: Mehr Erfahren

Schwerpunktthema Digitale Beteiligungsprozesse: Mehr Erfahren

[1] Im vorliegenden Text wird auf Wunsch der Autorin der Asterisk (das „Sternchen“) für eine gendergerechte Sprache verwendet, um eine einheitliche Darstellung zu gewährleisten.

[2] LAG Mädchen*politik Baden-Württemberg: Mädchen*arbeit. Fachliche Einordnungen und Diskurse, Februar 2021, S. 2, URL: https://www.lag-maedchenpolitik-bw.de/lag/lag-maedchenpolitik/Publikationen/Kompaktwissen-Maedchen_arbeit_klein.pdf [eingesehen am 01.11.2023].

[3] Siehe Heinrich-Böll-Stiftung: KommunalWiki, URL: https://kommunalwiki.boell.de/index.php/Repr%C3%A4sentation_von_Frauen_in_der_Kommunalpolitik [eingesehen am 01.11.2023].

[4] Eine ausführliche Erklärung des „unconscious bias“ findet sich z. B. unter URL: https://vielfalt.uni-koeln.de/unconscious-bias [eingesehen am 01.11.2023].

[5] Vgl. Initiative D21: Digitales Leben. Rollenbilder und Geschlechterunterschiede im Privaten, Professionellen und Zwischenmenschlichen, 2020, URL: https://initiatived21.de/publikationen/digitales-leben [eingesehen am 01.11.2023].

[6] Vgl. Deutsche Kinder- und Jugendstiftung: Gesehen, gehört, ernstgenommen werden – Chancen von Mädchen*beteiligung für ländliche Räume, 2023, URL: https://www.starkimland.de/handlungsempfehlung_landheldinnen/ [eingesehen am 01.11.2023].

[7] Vgl. Grebe, Anna/Schreiber, Björn/Schulz, Iren: Medienethik und Jugendmedienschutz, in: Geisler, Martin (Hrsg.): Spiel- und Medienpädagogik. Theorie – Methoden – Praxis, Stuttgart 2021, S. 68–82.

[8] Vgl. Grebe, Anna/Ringler, Dominik: Strategien zur kommunalen Jugendbeteiligung, in: Sommer, Jörg (Hrsg.): Kursbuch Bürgerbeteiligung #5, Berlin 2023, S. 429–443.

[9] Im Juni 2023 fand die erste bundesweite Tagung zum Thema Mädchen*beteiligung statt, veranstaltet vom Kompetenzzentrum Kinder- und Jugendbeteiligung Brandenburg und von der Bundesstiftung Gleichstellung. Eine Tagungsdokumentation finden Sie unter URL: https://www.jugendbeteiligung-brandenburg.de/kjube-kommune/dokufachtagmaedchenbeteiligung2023 [eingesehen am 01.11.2023].

[10] Vgl. Dellenbaugh-Losse, Mary/Grebe, Anna: Mädchen* empowern und beteiligen – Städte geschlechtersensibel gestalten, in: Publikation zum Zukunftspaket für Bewegung, Kultur und Gesundheit. Im Erscheinen.

[11] Vgl. Deutsche Kinder- und Jugendstiftung: Gesehen, gehört, ernstgenommen werden – Chancen von Mädchen*beteiligung für ländliche Räume, 2023, S. 25, URL: https://www.starkimland.de/handlungsempfehlung_landheldinnen/ [eingesehen am 01.11.2023].