Was ist politische Medienkompetenz?

Digitalisierung als methodische und inhaltliche Herausforderung für eine kritische politische Bildung

Digitale Parteitage, Klimaaktivist_innen, die sich online organisieren, die Digitalisierung von Arbeitsprozessen, das Starten von Online-Petitionen, Meinungsformate in sozialen Netzwerken: All dies sind Beispiele für die voranschreitende Digitalisierung unserer Gesellschaft. Daher gewinnen auch Fragen rund um politische Medienkompetenz zunehmend an Bedeutung.

Als gesellschaftliche Großtransformation muss Digitalisierung gestaltet werden. In diesem Rahmen bieten sich der politischen Bildung zahlreiche Möglichkeiten, durch Angebote zur Steigerung politischer Medienkompetenz neue Perspektiven zu eröffnen. Es gilt, für und mit Bildner_innen sowie Teilnehmenden von Bildungsangeboten aktuelle Entwicklungen aufzugreifen, zu diskutieren und hinsichtlich ihrer Bedeutung für demokratische Prozesse verständlich zu machen. Im Sinne eines demokratischen Gemeinwesens ist es wichtig, dass sich möglichst alle Menschen an der Gestaltung dieser Transformation beteiligen und die Relevanz aufkommender Fragen für ihr eigenes Leben erkennen und bewerten können. Dabei geht es nicht nur darum, Wissen und Kompetenzen zu vermitteln, die Teilhabe ermöglichen, sondern auch und insbesondere darum, für strukturelle Ausschlussmechanismen und Diskriminierungen zu sensibilisieren, um diese langfristig und nachhaltig zu überwinden.

Aus diesem Zusammenhang zwischen Digitalisierung und politischer Bildung ergeben sich für die Niedersächsische Landeszentrale für politische Bildung (LpB) unterschiedliche Dimensionen für ihren programmatischen Schwerpunkt „politische Medienkompetenz“. Diese Dimensionen orientieren sich zwar allesamt an einem klassischen Verständnis von Medienkompetenz, nehmen jedoch aktuelle Fragen der Digitalisierung in den Fokus und stellen stets das Politische eines Themas in den Mittelpunkt. Sie beziehen sich zum einen auf die Praxis und zum anderen auf die Inhalte politischer Bildung.

1. Politische Bildung mit digitalen Medien

Für politische Bildner_innen und Lehrkräfte bedeutet die fortschreitende Digitalisierung der Gesellschaft eine Veränderung ihres Methodenkanons sowie des grundsätzlichen Settings von Bildungssituationen. Digitale Medien werden nicht nur privat, sondern auch in Lernkontexten immer selbstverständlicher verwendet – entweder aufgrund eines mutmaßlich besseren Lebensweltbezugs und der erweiterten methodischen Möglichkeiten oder aufgrund einer allgemeinen Erwartungshaltung hinsichtlich digitaler Bildungsangebote. Auch die Lernenden werden mit Settings konfrontiert, die es vor wenigen Jahren so noch nicht gegeben hat.[1] Während dies für junge Lernende scheinbar selbstverständlich und somit vermeintlich leichter ist, sehen sich Menschen, die schon länger in Bildungssysteme eingebunden sind, neuen Herausforderungen gegenüber. Insgesamt ändern sich, dies lässt sich resümieren, sowohl Lehr- als auch Lerngewohnheiten sowie -bedürfnisse.

Mithilfe digitaler Tools halten neue Methoden Einzug, die schließlich auch die Rollen der Akteur_innen beeinflussen: Wenn Lernende ohne umfangreiche Einführung – teilweise sogar mit größerem technischem Know-how als Lehrende – beispielsweise Inhalte produzieren und veröffentlichen können, verändern sich die Aufgaben der Lehrpersonen. Die Lehrenden müssen sich angesichts ständig wandelnder Methoden- und Bildungssettings mit ihrer neuen variablen Rolle auseinandersetzen und die eigene Positionierung reflektieren. Bildungspraktiker_innen stehen damit vor der großen Herausforderung, mit ihren Teilnehmenden methodisch Schritt zu halten und technisch up to date zu bleiben. Gleichzeitig aber auch den Teilnehmenden ein großes Vertrauen entgegenzubringen und den vermeintlichen Vorsprung an technischem Wissen und dem selbstverständlichen Umgang mit Endgeräten als Chance zu begreifen.

Eine grundsätzliche Offenheit und die Fähigkeit, die richtigen Fragen zu stellen, sind genauso wichtig wie ein gut gefüllter digitaler Methodenkasten. Gleichzeitig ist festzuhalten: Lehrende können nicht alle Tools kennen, die irgendwann für die Teilnehmenden relevant sein könnten. Grundsätzlich gilt für den Einsatz digitaler Methoden das Gleiche wie für alle Methoden: Ihr Einsatz sollte reflektiert erfolgen – wobei manches nach dem Motto „Trial and Error“ schlichtweg ausprobiert werden muss – und im Anschluss evaluiert werden. Gelungenes kann so in der Praxis etabliert, Unpassendes aussortiert werden.

Für den Umgang mit technischem Equipment in der Bildungsarbeit bietet die LpB unterschiedliche Hilfestellungen, wie zum Beispiel Fortbildungsangebote, Hinweise auf ihren Social-Media-Kanälen oder Tool- und Methoden-Tipps auf der Plattform www.politische-medienkompetenz.de.

2. Politikbezogene Medienkompetenz

Formelle und informelle Politik, explizit die unterschiedlichen Bestandteile und Phasen politischer Prozesse, haben sich im Zuge der Digitalisierung ebenfalls maßgeblich verändert.[2] Zahlreiche digitale Elemente haben in die Arbeit von Parteien, Verbänden und Initiativen Einzug gehalten; informelles digitales Engagement gewinnt Studien zufolge ständig an Bedeutung – ohne allerdings andere Formen politischer Teilhabe gänzlich abzulösen.[3] Digitale Medien ermöglichen eine hohe „Gleichzeitigkeit“ unterschiedlichster Informationen und Formate, führen aber auch zu einer nicht in Gänze zu erfassenden Menge an Daten.

Entlang von Hashtags tauschen sich Aktive und Beobachter_innen über aktuelle politische Ereignisse aus, in Chat-Gruppen wird diskutiert, Live-Blogs halten Interessierte online auf dem Laufenden. Podcasts und YouTube-Videos werden produziert, veröffentlicht, geteilt sowie kommentiert und beeinflussen die Meinungsbildung. Gleichzeitig werden anderswo im digitalen Raum Online-Petitionen formuliert und unterzeichnet oder digitale Beteiligungsverfahren von der Spielplatzgestaltung bis zur Überwindung der Corona-Pandemie durchgeführt.

Dies macht eines deutlich: Demokratie und Digitalisierung sind heute fest miteinander verwoben, es gibt kein Entweder-oder – bei einigen allerdings nach wie vor das eine oder andere „Wenn und Aber“. Beispiele für diese Skepsis: Ist ein Kofferraum voll unterschriebener Unterschriftenlisten „mehr wert“ als 10.000 digitale Unterschriften? Ist ein digital gewählter Parteivorsitzender weniger demokratisch legitimiert als jemand, für den Stimmzettel ausgezählt wurden? Und führen digitale Formate zu anderen Ergebnissen als vormalige rein analoge demokratische Prozesse?

Die Auswirkungen der Digitalisierung auf die unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereiche und maßgeblich auf Form und Wesen von Demokratie und politischen Prozessen sind so massiv, dass sie von einer zeitgemäßen politischen Bildung nicht ignoriert werden dürfen. Wer heute und in Zukunft die Gesellschaft mitgestalten möchte, kommt kaum noch an Fragen der Digitalisierung vorbei. Gleichzeitig ist der Prozess der Digitalisierung bzw. das Leben in einer digitalisierten Welt selbst fluide und gestaltbar. Digitalisierung ist weder ein Selbstläufer noch ein unverrückbares, alternativloses und statisches Faktum. Vielmehr geht es darum, das gesellschaftliche Zusammenleben unter den (gar nicht mehr so) neuen Vorzeichen und im Rahmen demokratischer Prozesse und Aushandlungen zu arrangieren.

Dabei – und das ist das Herausfordernde und zugleich Spannende daran – geht es aber nicht um die Neuregelung eines spezifischen neuen Politikbereichs „Digitalisierung“ (siehe 3.), sondern um die zukunftsfähige Gestaltung politischer, demokratischer Prozesse insgesamt. Aus umgekehrter Perspektive beeinflusst auch Demokratie die digitale Transformation der Gesellschaft: Indem beispielsweise Standards für datenschutzkonforme sowie barrierearme Beteiligungs- und Abstimmungsverfahren aus den Grundrechten abgeleitet und geschaffen werden, werden demokratische Grundprinzipien auf digitale Prozesse übertragen.[4]

Wer bei solchen Fragen mitgestalten möchte, seine Interessen einbringen und durchsetzen will, sollte sich mit den technischen, methodischen, gesellschaftlichen und moralischen Fragen, die mit Digitalisierung einhergehen, auseinandersetzen können. Politische Bildung kann hierfür Lern- und Erfahrungsräume eröffnen, Fragen aufwerfen und diskutieren sowie darin unterstützen, an diesem Prozess mitzuwirken. Einen ersten Ansatz bieten dafür die Schwerpunktthemen auf der Plattform politische-medienkompetenz.de, wo der digitalen Welt angepasste politikbezogene Inhalte vermittelt werden.

3. Netz- und digitalpolitische Medienkompetenz

Ein weiteres Feld politischer Medienkompetenz stellt die netz- und digitalpolitische Medienkompetenz dar. Hierbei handelt es sich um ein Politikfeld, das noch im Jahr 2013 von Bundeskanzlerin Angela Merkel zum vielzitierten „Neuland“ erklärt worden ist. Unter „netz- und digitalpolitische Medienkompetenz“ fasst die LpB beispielsweise Themen wie die Regulierung von Social Media, Vorgaben an Datenschutz und Barrierefreiheit oder den Schutz der Privatsphäre in der digitalen Welt. Auch Nutzungs- und Urheber_innen-Rechte haben, infolge der Möglichkeiten digitaler Verbreitung, neue Dimensionen erhalten. Hierbei handelt es sich also gewissermaßen um die politischen und sozialen Folgen der neuen technischen Möglichkeiten. Um einen Vergleich zu wagen: Als der motorisierte Straßenverkehr zunahm, mussten mit einer Straßenverkehrsordnung Regeln für die neue Betriebsamkeit geschaffen werden. Ähnlich, nur sehr viel komplexer, verhält es sich heute mit der Regulierung und Organisation der digitalen Möglichkeiten.

Und genau wie im Straßenverkehr unterschiedliche Interessen beispielsweise von Fahrrad- und Lkw-Fahrer_innen aufeinandertreffen, gibt es auch im Netz und in einer insgesamt digitalisierten Welt völlig unterschiedliche, teils konträre Bedürfnisse. So gilt auch für dieses Politikfeld, dass es um die Aushandlung von Interessen und um die Gestaltung sowie Regulierung geht – wobei klassische politische Fragestellungen relevant werden, die unter den Prämissen von Digitalisierung neu zu bewerten sind.

Die für die politische Bildung bedeutsamen Themen betreffen unter anderem Informationskompetenz, Meinungsbildung und Artikulation, Machtverhältnisse und soziale Ungleichheit. Beispielsweise stellt sich bei den Themen Hatespeech, Verbreitung von Desinformationen und Fake News im Netz die Frage, was gesetzlich reguliert werden sollte und welche Fragen zivilgesellschaftlich gelöst werden können. Wer trägt hier die Verantwortung zum Handeln: Privatpersonen, Unternehmen oder die Politik? Und wie können ungleiche Machtverhältnisse sichtbar gemacht und verändert werden, sodass eine gleichberechtigte Aushandlung aller Akteur_innen gewährleistet ist?

Politische Bildung soll sich diesem Politikfeld widmen. Gerade dann, wenn sie Jugendliche und junge Erwachsene adressiert. Als Digital Natives haben sie in diesem Bereich wahrscheinlich andere Erfahrungen und Bedürfnisse als ältere Menschen und entsprechend großen Bedarf, ihren Interessen und Zielen Gehör zu verschaffen, wie es beispielsweise die Debatte um sogenannte Upload-Filter gezeigt hat.[5] Aber nicht nur das Alter hat einen Einfluss auf die Erfahrungen und Bedürfnisse von Menschen in der digitalisierten Welt, sondern auch andere Faktoren wie beispielsweise das Geschlecht oder die soziale Herkunft. Politische Bildung kann hier einen Beitrag dazu leisten, unterschiedliche Perspektiven auf derlei Fragen sichtbar zu machen und Diskussionsräume auch zwischen widerstrebenden Interessen zu (er-)öffnen.

Der Debattenbereich der Plattform politische-medienkompetenz.de bietet einen solchen Raum, in dem diverse Blickwinkel auf politische Medienkompetenz und ihre Bedeutung für eine diverse und demokratische Gesellschaft eingenommen und vorgestellt werden.

Ausblick

An diesen drei Dimensionen wird deutlich, welch hohe Bedeutung politische Medienkompetenz im Rahmen der politischen Bildung hat. Lehrende sind gefordert, sich mit zeitgemäßen Methoden, aktuellen Fragestellungen und veränderten Bedürfnissen von Lernenden auseinanderzusetzen. Gleichzeitig werden angesichts der zahllosen Themen und Herausforderungen der Digitalisierung nahezu alle Menschen zur potenziellen Zielgruppe, zu Adressat_innen bzw. Konsument_innen von Angeboten politischer Bildung. Ihnen Zugänge zu unterschiedlichen Themen, verschiedene Perspektiven, ein Bewusstsein für Chancen und Risiken sowie das „nötige Handwerkszeug“ zu vermitteln, ist eine der großen Zukunftsaufgaben politischer Bildung. Die LpB Niedersachsen möchte mit der Plattform www.politische-medienkompetenz.de einen Beitrag dazu leisten und Impulse für die politische Bildung geben.

 

Quellen

[1] Rummler, Klaus et al.: Editorial: Lernen mit und über Medien in einer digitalen Welt, Medien Pädagogik 17 (Jahrbuch Medienpädagogik), 2021, S. 1-3. https://doi.org/10.21240/mpaed/jb17/2021.05.20.X

[2] Ulbricht, Lena: Demokratie und Digitalisierung. Ein Blick auf das politische System Deutschlands, in: Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.): Politische Bildung in einer digitalen Welt, 2021, https://www.bpb.de/lernen/digitale-bildung/politische-bildung-in-einer-digitalen-welt/324975/demokratie-und-digitalisierung-ein-blick-auf-das-politische-system-deutschlands

[3] BMFSFJ (Hrsg.): Dritter Engagementbericht. Zukunft Zivilgesellschaft: Junges Engagement im digitalen Zeitalter. Zentrale Ergebnisse, 2020, S. 8-9. Abrufbar unter: https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/ministerium/berichte-der-bundesregierung/dritter-engagementbericht 

[4] Hofmann, Jeanette: Mediatisierte Demokratie in Zeiten der Digitalisierung – Eine Forschungsperspektive, in: Hofmann et al.: Politik in der digitalen Gesellschaft. Zentrale Problemfelder und Forschungsperspektiven, 2019, S. 40-41. http://library.oapen.org/handle/20.500.12657/23412

[5] Vgl. Schwerpunktthema Netzpolitik: https://www.politische-medienkompetenz.de/unsere-schwerpunkte/netzpolitik/uploadfilter/