Medienkompetenz politisch denken!

CHANCEN UND HERAUSFORDERUNGEN DER DIGITALISIERUNG FÜR DIE POLITISCHE BILDUNG

Im Anschluss an den sogenannten PISA-Schock der Jahre 2000/01 erlebte der Begriff „Kompetenz“ einen Boom im gesamten Bildungssystem und sogar darüber hinaus. Seitdem ist oft die Rede von „Medienkompetenz“ – auch in der politischen Bildung. Allerdings wird dieser Begriff häufig nur instrumentell verstanden und zu wenig in seiner politischen Dimension thematisiert. Damit geht jedoch ein enormes Potenzial für politisches Lernen verloren. Um dieses Potenzial zu entfalten, gilt es, den Begriff Medienkompetenz in der politischen Bildung stärker politisch zu denken.

Die Verbreitung des Kompetenzparadigmas ist nicht ohne Widerspruch geblieben.[1] Kritisiert wurde u.a., dass der Kompetenzbegriff zunehmend den Begriff Bildung ersetze. Dies habe zur Folge, dass Lehren und Lernen nicht mehr der zweckfreien Entfaltung einer mündigen Person diene, sondern vor allem den Imperativen eines ökonomistisch verkürzten und affirmativen Konzepts von Ausbildung – d.h. der unhinterfragten Anpassung an die Erfordernisse des spätkapitalistischen Arbeitsmarkts — folge.

Ein solches zuvorderst instrumentelles Verständnis lässt sich auch beim Begriff Medienkompetenz nachweisen. Dies zeigt sich bereits an Dieter Baackes Definition von 1996:

„Medienkompetenz meint also grundlegend nichts anderes als die Fähigkeit, in die Welt aktiv aneignender Weise auch alle Arten von Medien für das Kommunikations- und Handlungsrepertoire von Menschen einzusetzen.“[2]

Diese sehr zweckbestimmte Lesart hat ebenfalls Eingang in die politische Bildung gefunden. Etwa in das Kompetenzmodell der Gesellschaft für Politikdidaktik und politische Jugend- und Erwachsenenbildung (GPJE) von 2004, das neben konzeptuellem Deutungswissen politische Urteilsfähigkeit, politische Handlungsfähigkeit sowie methodische Fähigkeiten umfasst.[3] Medien tauchen dort zunächst als Teil der politischen Handlungskompetenz auf – hier geht es um die Fähigkeit, selbst Medien mit politischen Inhalten zu realisieren.[4]

Darüber hinaus werden Medien v.a. als Element der methodischen Fähigkeiten betrachtet. Demnach seien „ein großer Teil der methodischen Fähigkeiten, die in der politischen Bildung sowohl benötigt als auch trainiert werden, […] nicht ausschließlich fachbezogen, sondern auch für andere Fächer von Bedeutung. […] Fachspezifische methodische Fähigkeiten werden vor allem durch die fachbezogene Interpretation von Texten und anderen Medienprodukten aus der politischen Publizistik […] entwickelt.“[5] Als konkrete medienbezogene Fähigkeit gilt bspw., „Bücher und elektronische Medien, insbesondere Angebote für Kinder im Internet (z.B. Kindersuchmaschinen) für Informationen zu Themen des Unterrichts [zu] nutzen“[6].

Zwar umfasst Medienkompetenz sowohl bei Baacke als auch bei der GPJE durchaus ein kritisches Element;[7] dieses erschöpft sich jedoch v.a. darin, Medieninhalte kritisch zu reflektieren. Wie Wolfgang Sander zu Recht betont, reicht dies allerdings aufgrund der Entwicklung insbesondere der digitalen Medien nicht mehr aus. Vielmehr, so Sander, müsse in der politischen Bildung angesichts beunruhigender Tendenzen wie etwa einer zunehmenden Machtkonzentration und Verhaltenssteuerung bei und durch eine Handvoll übermächtiger Technologiekonzerne eine Neuorientierung von der Medienkompetenz zur Medienkritik eingeleitet werden.[8]

Dies bedeutet, nicht einfach nur den Umgang mit Medien etwa zu Zwecken politischer Informationssuche, sondern Medien und insbesondere Medialisierung selbst zum Gegenstand des politischen Lernens zu machen. Andernfalls bleiben Überlegungen zu einer politikdidaktischen Medienkompetenz zu affirmativ und zu unkritisch, denn die entscheidenden politischen Fragen werden nicht gestellt: In welcher Welt wollen wir zukünftig leben? Wie viel Medialisierung/Digitalisierung wollen wir überhaupt? Was sind die politischen, sozialen, ökonomischen usw. Auswirkungen dieser Prozesse und wie können diese Prozesse beeinflusst werden?

Bislang wird stets – zugespitzt – diskutiert, als seien die Medialisierung der Welt, die Digitalisierung usw. unhinterfragt hinzunehmen. Es wird gewissermaßen aus den medialen Gegebenheiten heraus, d.h. aus der Binnenperspektive, argumentiert, die Situation jedoch nicht von außen betrachtet und die Frage gestellt, ob das so überhaupt seine Richtigkeit hat oder ob hier verändernd einzugreifen wäre. Das aber wäre der politische Fokus, der auf Medienkompetenz zu richten ist. Zumal dies auch die entscheidenden Fragen sind, die andere Disziplinen nicht stellen und wohl auch gar nicht beantworten könnten.

Politische Medienkompetenz würde dementsprechend bedeuten, eine kritische Distanz zu den medialen Gegebenheiten aufzubauen, diese zu bewerten, sie möglicherweise auch (grundsätzlich) infrage zu stellen und Wege zu finden, Veränderungen anzustoßen – nötigenfalls auch gegen Widerstände. Kurz: Die Befähigung zum grundsätzlichen Nachdenken, zur Kritik und ggf. zum Widerstand gegen Medialisierung und Digitalisierung der Welt sollte zentraler Bestandteil einer politischen Medienkompetenz sein.

Quellen

[1] Dazu ausführlich Oeftering, Tonio: Das Politische als Kern der politischen Bildung? Hannah Arendts Beitrag zur Didaktik des politischen Unterrichts, Schwalbach/Ts. 2013, S. 47 ff.

[2] Baacke, Dieter: Medienkompetenz: Begrifflichkeit und sozialer Wandel, in: Rein, Antje v. (Hrsg.): Medienkompetenz als Schlüsselbegriff, Bad Heilbrunn 1996, S. 112–124, hier S. 119.

[3] Siehe GPJE: Anforderungen an Nationale Bildungsstandards für den Fachunterricht in der Politischen Bildung an Schulen. Ein Entwurf, Schwalbach/Ts. 2004.

[4] Vgl. ebd., S. 17.

[5] Ebd., S. 17 f.

[6] Ebd., S. 20.

[7] Vgl. Baacke, Dieter: Medienkompetenz als zentrales Operationsfeld von Projekten, in: Ders. et al. (Hrsg.): Handbuch Medien. Medienkompetenz. Modelle und Projekte, Bonn 1999, S. 31–35, hier S. 34 sowie GPJE: Anforderungen an Nationale Bildungsstandards für den Fachunterricht in der Politischen Bildung an Schulen. Ein Entwurf, Schwalbach/Ts. 2004, S. 24 u. S. 42.

[8] Siehe Sander, Wolfgang: Von der Medienkompetenz zur Medienkritik? Plädoyer für eine Neuorientierung im Umgang mit digitalen Medien in der politischen Bildung, in: Gloe, Markus/Oeftering, Tonio (Hrsg.): Perspektiven auf Politikunterricht heute. Vom sozialwissenschaftlichen Sachunterricht bis zur Politiklehrerausbildung. Festschrift für Hans-Werner Kuhn, Baden-Baden 2017, S. 129–148.