Rollenbilder in Games

GAMERGATE, SEXISTISCHE SPIELE UND GEWALT – IST DIE GAMING-BRANCHE NOCH ZU RETTEN?

Die Inhalte dieser Seite sind entstanden in Zusammenarbeit mit: 
LAG Jugend & Film Niedersachsen e. V.

Diskriminierung in Games und der Games-Branche

Games sind, wie alle Medien, ein Spiegel der Gesellschaft, in der sie produziert werden. Und wie in allen anderen gesellschaftlichen Räumen gibt es auch hier impliziten und expliziten Sexismus, Rassismus und andere Arten von Diskriminierung. Und obwohl Games als Kulturgut wahrgenommen werden wollen: Oft fehlt noch die öffentliche, tiefere Auseinandersetzung mit den zugrunde liegenden Strukturen, die solche Diskriminierungen begünstigen.[1]

Daher ist es umso wichtiger, Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene für dieses Thema zu sensibilisieren und sie zur Reflexion nicht nur des eigenen Spielverhaltens, sondern auch der Charakterzeichnungen, die ihnen in Games begegnen, anzuregen. Das soll in diesem Workshop mit Schwerpunkt auf die Auseinandersetzung mit stereotypen Darstellungen von Frauen und BIPoC in Games geschehen.

Geschlechter-Stereotype in Games

Im Einstiegstext zu diesem Schwerpunktthema wurde es schon erwähnt: Fast die Hälfte derjenigen, die heute digitale Spiele konsumieren, sind Mädchen und Frauen. Ein Blick in die Spiele selbst macht jedoch nachdenklich: Muskelbepackte Sternenkrieger, vierschrötige Elitesoldaten oder Geheimagenten – und meist männlichen Geschlechts. Aber wie und in welcher Weise finden weibliche Charaktere in Games überhaupt statt?

Anita Sarkeesian, kanadisch-amerikanische Medienkritikerin und Urheberin der kritischen Videoserie Tropes Vs. Women, geht mit der verbreiteten Darstellung von Frauen in Games hart ins Gericht: Sie beobachtet, dass weibliche Charaktere häufig nur als schmückendes Beiwerk – oder gar als „Belohnung“ dienen, von einem männlichen Helden gerettet werden müssen und häufig Gewalt ausgesetzt sind, um die Geschichte des Spiels voranzubringen. Ferner seien Körperformen, Aussehen und Kleidung weiblicher Charaktere häufig unrealistisch und/oder sexualisierend. Hierdurch sei die Vielfältigkeit von Frauen in Spielen nicht repräsentiert, und einer Objektifizierung durch männliche Spieler werde Vorschub geleistet.[2]

Männliche Avatare hingegen sind hiervon anders betroffen, sie werden oft idealisiert dargestellt, auch dies kann jedoch verzerrte Rollenbilder schaffen und den Druck erhöhen, diesen idealisierten Rollen zu entsprechen.

Zwar werden männliche Charaktere in ihrem körperlichen Erscheinungsbild ähnlich stereotyp dargestellt, jedoch werden sie eher idealisiert und nicht sexualisiert. Zudem sind die weiblichen Charaktere meist schlechter mit Waffen, Kompetenzen oder Fähigkeiten ausgestattet, so die Forschungslage.[3]

Gleichzeitig gab und gibt es für den Mangel an weiblichen Hauptfiguren immer wieder ziemlich abenteuerliche Erklärungen, wenn etwa das Fehlen einer weiblichen Spieler_innenfigur in der erfolgreichen Assassin’s Creed-Serie durch Publisher Ubisoft 2016 mit dem höheren Animationsaufwand und den damit verbundenen Kosten begründet wurde.[4] Wohlgemerkt in einer der – gerade auch finanziell – erfolgreichsten Spieleserien der jüngeren Vergangenheit. Mittlerweile gibt es allerdings auch bei Assassin’s Creed, wie selbstverständlich, Protagonistinnen.

Und auch die Entwicklung der existierenden Game-Heldinnen ist in diesem Zusammenhang interessant: Archäologin Lara Croft, Protagonistin der Tomb Raider-Serie, zum Beispiel startete als kantige Polygon-Sexbombe, deren Gestaltung vor allem dem Geschmack der überwiegend männlichen Spieler_innenschaft entsprach – Fotostrecken in Männermagazinen inklusive. Erst über Jahre und zahlreiche Fortsetzungen hinweg veränderte sich das Charakterdesign langsam in eine realistischere Richtung. Und das war erkennbar nicht nur der verbesserten Technik geschuldet, sondern eben auch einer sich verändernden Charakterzeichnung. Dennoch bleibt Lara Croft eine umstrittene – zumindest problematische – Vorkämpferin für weibliche Charaktere in Games, wie die freischaffende Spielejournalistin und Game-Designerin Nina Kiel erläutert:

Lara Croft ist eine der ersten uneingeschränkt kompetenten, selbstständigen und taffen Frauen in der Videospielgeschichte und damit eine Identifikationsfigur für Spielerinnen. Andererseits repräsentierte sie gerade in den frühen Titeln der Reihe ein unerreichbares Körperideal und wurde als Sex-Ikone inszeniert, um die Verkäufe anzukurbeln. Das Weiblichkeitsideal ist aus Filmen bekannt: Die Frau darf zwar überlegen sein, aber diese Überlegenheit muss zwingend auch ihre Schönheit einbeziehen. Sie darf bedrohlich wirken, muss aber ästhetisch gefallen.[5]

Quelle: Feminist Frequency (2013) Damsel in Distress: Part 1 – Tropes vs Women in Video Games. Veröffentlicht auf YouTube. Weiterführende Links, weitere Teile der Video-Reihe und vollständiges Transkript des Videos (Englisch) unter https://feministfrequency.com/video/damsel-in-distress-part-1/.

Rassismus in Games

Auch People of Colour sind häufig von mangelnder Diversität und stereotyper Darstellung in Games betroffen. Nicht selten tauchen sie überhaupt nicht in den Spielwelten auf und wenn doch, dann haben sie häufig eher eine Nebenrolle oder sogar die Rolle der Antagonist_innen.[6] Nach Malindy Hetfeld von der Seite Eurogamer seien Schwarze Personen in Videospielen zumeist zwei Kategorien zuzuordnen: angsteinflößend oder merkwürdig.[7]

Ein besonders bedrückendes Beispiel bildete hier Resident Evil 5, ein Titel aus der erfolgreichen Resident Evil-Serie: Erste Trailer zeigten den Helden des Spiels, der sich einer Horde dunkelhäutiger Zombies erwehren musste. Einige Zeit versuchte Publisher Capcom das noch damit zu begründen, dass der Handlungsschauplatz des Spiels nun einmal Afrika sei und die Zombies daher tendenziell eher Schwarze Charaktere sein müssten – aber es blieb das verheerende Bild eines Weißen, der einer Übermacht nahezu tierhafter, Schwarzer Gegner_innen gegenüberstand. Selbst das fertige Spiel konnte diese Eindrücke nur wenig abmildern.[8]

Und selbst in jenen Games, die es den Spielenden erlauben, detaillierte eigene Avatare ihrer selbst zu gestalten, fällt das Erstellen nicht-weißer Spielfiguren mitunter mehr als unbefriedigend aus, wie Svenja Borchert in ihrem Artikel „50 Shades of White: Schwarze Avatare in Games“ beschreibt. Denn entsprechende Gestaltungsoptionen für People of Color fehlen entweder ganz, sind stark beschränkt oder die Grafik-Engines und 3D-Modelle sind schlicht nur für helle Hauttöne optimiert.

Diskriminierende Games als Resultat einer diskriminierenden Branche?

Die stereotypen Rollenbilder und mangelnde Diversität in Games sind dabei zunächst vor allem auch ein Ergebnis der Entwicklung dieses Mediums in einer weitgehend homogenen (Sub-)Kultur über viele Jahre: Games wurden lange von tendenziell eher männlichen Teams für eine tendenziell eher männliche Kundschaft entwickelt, und über viele Jahre hielt sich das Klischee von digitalen Spielen als Hobby vor allem für Jungen und Männer.

Immer wieder werden in der Branche auch Fälle von Sexismus, Missbrauch und sexuellen Übergriffen innerhalb der Games-Branche bekannt. Betroffen sind neben Entwicklerstudios wie Ubisoft auch der E-Sport und Streaming-Bereich.[9]

Chancen für mehr Diversität

Andererseits bieten gerade die Öffnung von Games für ein breiteres Publikum wie auch der leichtere Zugang zu den Gestaltungsmitteln, um eigene Game-Projekte zu verwirklichen, eine echte Chance für mehr Vielfalt und Diversität. In demselben Maße, wie das Interesse an digitalen Games in breiteren Teilen der Bevölkerung steigt, werden nicht nur die Spielenden vielfältiger: Indem mehr (und diversere) Menschen Games spielen, über Games berichten oder sogar selbst Games gestalten, werden eben auch die Spiele selbst tendenziell diverser, vielseitiger und vielstimmiger. Und Games als Kulturgut ernst zu nehmen, bedeutet dann auch, sie kritisch zu rezipieren und zu diskutieren. Sich an ihnen auch intellektuell abzuarbeiten, denn:

Man kann nicht einerseits von Menschen erwarten, die Kreativität des Gamings zu respektieren, und ihnen dann andererseits sagen, dass sie Games nicht kritisieren dürfen.[10]

Aber es gibt auch Widerstand gegen diese Öffnung und Diversifizierung digitaler Games: Eine ebenso laute und aggressive Minderheit von Spielern schreckt mitunter vor nichts zurück, wofür die sogenannte #GamerGate-Affäre ein ebenso anschauliches wie verstörendes Beispiel liefert.

Ein Ansatz zum Umgang mit dieser Gemengelage kann darin bestehen, Games zum Thema zu machen, darüber zu diskutieren, zu kritisieren und zu reflektieren – so wie bei anderen Medien und Kunstrichtungen auch. Man kann über die Welten sprechen, die in ihnen abgebildet werden, und über die Protagonist_innen, die diese Welten bevölkern. Man kann einen kritischen Blick darauf werfen, unter welchen Bedingungen Games zustande kommen, wer in ihnen eine Stimme erhält – und wer nicht. Und man kann Ausschau halten nach spannenden Perspektiven, nach neuen Stimmen, nach unkonventionellen Protagonist_innen und Held_innen.

Workshop-Konzept

Ziel des Workshops ist es, für Rollenbilder, Klischees und Stereotype in Games zu sensibilisieren und diese kritisch zu hinterfragen. Der Workshop wird eingeleitet durch ein thematisches Intro, in dem Jugendliche mit Heldinnen und Helden aus Computerspielen konfrontiert werden und sie anhand verschiedener Eigenschaften charakterisieren. Im Zentrum des Workshops stehen die Erstellung eigener Avatare sowie das Ausprobieren von Spielen, die in besonderem Maße Diversität abbilden. Die Teilnehmenden erstellen innerhalb eines Games kleine Filme oder Memes, die sich mit dem Themenfeld auseinandersetzen. Als Ergebnis des Workshops haben die Teilnehmenden eine eigene Haltung zu Diversität in Spielen entwickelt, können die Hintergründe für fehlende Diversität einordnen und haben aktiv eigene Ideen für eine diversitätsorientierte Spielekultur entwickelt.

Durchführungshinweise

Dauer:
2,5–3,5 Stunden, je nach gewählter Variante in der Anwendungsphase
Gruppengröße:
5–20 Personen
Altersgruppen:
Ab 14 Jahren
Vorbereitung:
Zur ausführlichen Vorbereitung bedarf es ca. 3–4 Stunden Einarbeitung in den Ablauf, die Materialien und die Tools. Die Einarbeitungszeit ins Thema hängt vom Vorwissen der Moderation ab.
Varianten:
Präsenz-Workshop: Diese Variante ist vermutlich die am häufigsten gewählte. Hier kommen Moderation und Teilnehmende in einem Raum zusammen und arbeiten in einem klassischen Workshopformat, welches jedoch durchaus von digitalen Tools gestützt werden kann.
Digitaler Workshop: Es ist auch eine ortsunabhängige, rein digitale Durchführung mittels Webinar- oder Webkonferenz-Software möglich. Hinweise zur digitalen Umsetzung, den damit verbundenen Herausforderungen und geeigneten Tools enthält der Service-Bereich. Der Ablaufplan orientiert sich im Folgenden an einer Durchführung als Präsenz-Workshop.

Ausstattung & Material

Der Workshop kann je nach Interesse, Vorkenntnis des_der Multiplikator_in und der Teilnehmer_innen sowie Zielsetzung eher klassisch in analoger Form oder digital mit Online-Tools (zum Beispiel für Abstimmungen, kollaboratives Arbeiten, Wissensaustausch und Dokumentation) durchgeführt werden. Dazu gibt es innerhalb des Ablaufplans jeweils Hinweise unter dem Stichwort digitale Variante. Weiterführende Informationen zu den Tools finden Sie im Service-Bereich.

Empfohlen wird ein Mix aus analogen und digitalen Methoden, sodass methodische Abwechslung entsteht. Eine digitale Dokumentation der Arbeitsergebnisse ist insbesondere dann besonders hilfreich, wenn im Nachgang dieselben oder andere Teilnehmer_innen noch weiter an den Ergebnissen arbeiten sollen oder eine Veröffentlichung der Ergebnisse geplant ist.

Analoge Ausstattung

  • Flipchart
  • Zeitschriften
  • Stifte
  • Papier
  • Schere
  • Klebstoff

Digitale Ausstattung

  • Internetverbindung
  • Beamer/digitales Anzeigegerät
  • Lautsprecher
  • Digitale Endgeräte (bestenfalls PCs/Laptops)

Online-Tools

  • Charakter-Editor
  • Ausgewählte Videospiele
  • Padlet / Trello
  • Optional: Screencast-Software